Joseph Marx
(1882–1964)

Meister des romantischen
Impressionismus
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Auf der Suche nach der legendären HERBSTSYMPHONIE


„In der viersätzigen Symphonie wurde dem Herbst ein Denkmal von einer Pracht der Farbgebung und einer Inbrunst des Gefühls gesetzt, wie es in der Musikgeschichte einzig dasteht." (Hans von Dettelbach)

Im Artikel des Booklets zur Hyperion-CD mit dem Romantischen Klavierkonzert schreibt Brendan Carroll, daß die bedeutendsten und größten Werke, also insbesondere die Orchestermusik des Joseph Marx (Josef Marx) noch nie auf Schallplatte oder CD eingespielt worden seien. Und tatsächlich weiß ich aufgrund meiner eigenen Recherchen, daß hiervon aus den vergangenen 70 Jahren nur ganz wenige Radioaufnahmen existieren - abgesehen von den in Graz und Wien äußerst sporadisch aufgeführten, doch leider niemals aufgezeichneten Konzerten, bei denen das eine oder andere Orchesterstück des Komponisten gespielt wurde. Dagegen werden auch heute noch einzig und allein seine Lieder aufgeführt und gelegentlich ein Bruchteil seiner Kammerwerke. Diese anfängliche Befürchtung wird auch von den Aussagen des Musikwissenschaftlers Michel Fleury bestätigt, von dem die meisten anderen Booklet-Artikel stammen. Dennoch fühlte ich, daß es irgendwo Aufnahmen von Marx' Orchesterwerken geben mußte - speziell von der Herbstsymphonie. Ich wußte, daß wenn es tatsächlich Aufnahmen gibt, ich sie auch finden würde.

Zunächst startete ich eine sehr umfassende Recherche im World Wide Web, doch erstaunlicherweise fand ich im gesamten Internet praktisch nichts, keine Information, die mir hätte weiterhelfen können, geschweige denn Hinweise auf existierende Aufnahmen. Meine Suche war dabei ein wenig durch die Tatsache erschwert worden, daß sein Name sehr häufig Josef Marx geschrieben wird, was die Sucharbeit verdoppelte. Aber konnte es wirklich sein, daß keines der Orchesterwerke von Joseph Marx mit Ausnahme des Romantischen Klavierkonzerts jemals eingespielt worden war? Ich beschloß, mich mit den Studios des Österreichischen Rundfunks in Verbindung zu setzen. Wie sich schon bald herausstellen sollte, war dies die richtige Entscheidung, denn der ORF besitzt in der Tat Aufnahmen eines Großteils von Marxens unbekannten Orchester- und Kammerwerken (nicht jedoch der Chorwerke!). Ich war regelrecht überwältigt von der mir vorgelesenen Liste der Werke aus der Archivdatenbank und ließ mir Aufnahmen von allen Werken zuschicken, die ich zu dem Zeitpunkt noch nicht kannte oder von denen ich in den mir bis dato vorliegenden Quellen bereits gelesen hatte. Doch die Antwort auf die Schlüsselfrage nach einer Aufnahme der Herbstsymphonie (manchmal auch Herbst-Symphonie, Herbstsinfonie oder Herbst-Sinfonie genannt), die mich schon seit so langer Zeit beschäftigte, war und blieb: „Leider nicht, davon haben wir keine Aufnahme". Auch wenn ich auf diesem Wege Aufnahmen eines Großteils von Marx' Werken gefunden hatte, war ich in gewisser Weise doch enttäuscht darüber, daß ausgerechnet von Marx' größtem Werk noch nicht einmal dem ORF eine Aufnahme vorlag.

Während dieser Momente fällte ich eine innere Entscheidung, die den Beginn der mit Abstand umfangreichsten Recherche und „Telefonkampagne" markieren sollte, die ich jemals in meinem Leben durchgeführt hatte.

Im Laufe von inzwischen mehr als 250 Telefonaten sprach ich mit einer großen Zahl von Musikwissenschaftlern, Archiven, Universitätsabteilungen, Musikgesellschaften, Orchestermusikern, Sammlern, Dirigenten, Historikern, Diskographen, Lexikographen und Pianisten sowie mit vielen anderen Personen, die in irgendeiner Form mit dem österreichischen Musikleben zu tun hatten und mir im Rahmen meiner Anna Hansa (3 kB) Nachforschungen nach und nach empfohlen worden waren. Ich sprach auch mit einer Reihe von noch lebenden Schülern, Kollegen, Bekannten und Freunden von Joseph Marx oder mit deren Nachfahren, unter anderem mit der Enkelin der seinerzeit berühmten Sängerin Anna Hansa (1877-1967), die ihren geliebten „Pepo" über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahrzehnten - von ca. 1909 bis zu seinem Tode - begleitet hat und der u.a. seine Herbstsymphonie gewidmet ist. Zu meinem erneuten Erstaunen wußte praktisch niemand von einer Aufnahme der Herbstsymphonie. Es war sogar noch schlimmer: Kaum jemand wußte überhaupt etwas mit den Namen seiner Orchesterwerken anzufangen, geschweige denn mit dem Titel „Herbstsymphonie". Was hatte es mit der Herbstsymphonie auf sich?

Anna Hansa (35 kB)
Anna Hansa

Ich setzte mich mit der Universal Edition in Wien (UE) in Verbindung, dem Hauptverleger von Marx' musikalischem Nachlaß. (Ein winziger Teil von Marx' Werken - die drei Streichquartette sowie die Streichorchesterfassungen von zweien dieser Quartette - werden vom Musikverlag Doblinger in Wien verlegt. Überdies liegen sämtliche Manuskripte und Aufzeichnungen des Komponisten sowie teilweise das vollständige dazugehörige Notenmaterial der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) in Wien vor, wie ich im Kapitel „Verzeichnis aller Orchester-, Chor-, Kammer-, Klavier-, Orgel- u. Vokalwerke" detailliert ausführe.) Doch nicht einmal die Universal Edition besaß Aufnahmen irgendeines der Orchesterwerke des Komponisten. Nichtsdestotrotz ließ ich mir leihweise die Partitur zur Herbstsymphonie zuschicken und war natürlich glücklich, als ich sie endlich in Händen halten und aufschlagen durfte. Doch auf meine Frage, ob die Herbstsymphonie denn laut den vorliegenden Aufzeichnungen irgendwann einmal aufgeführt worden sei, konnte mir keine befriedigende Auskunft erteilt werden, da man erst seit einem (oder zwei?) Jahrzehnten EDV-mäßig darüber Buch führe. (Übrigens führten auch späteren Anfragen bei anderen, für solche Anliegen ebenfalls in Frage kommenden Stellen wie z.B. bei der AKM in Wien, dem österreichischen Pendant zur GEMA in Deutschland, zu keinem positiven Ergebnis.) Allerdings fand die Universal Edition einen Eintrag mit Hinweis auf den mit der UE kooperierenden deutschen Musikverlag Schott, woraufhin ich dort anrief und erfuhr, daß die Partitur der Herbstsymphonie offensichtlich im Jahre 1990 ausgeliehen worden war! Voller Hoffnung fand ich einige Telefonnummern heraus und führte mehrere Telefonate - darunter eines mit einer inzwischen nach Mombasa/Kenia (!) verzogenen Musikproduktionsfirma. Doch am Ende wußte ich, daß es sich bei jener Information leider um einen Falscheintrag in der Datenbank handelte.

Daraufhin rief ich bei der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien an (mit der ich übrigens noch weitaus öfter zu tun haben sollte, da sie - wie sich herausstellte - in vielerlei Hinsicht die einzige Informationsquelle über Marx' Werk und Leben ist). Die Musikabteilung der ÖNB besaß zwar tatsächlich alte Aufnahmen von zwei weiteren Orchesterwerken von Joseph Marx, die noch nicht einmal dem ORF vorlagen, doch die Herbstsymphonie war wieder einmal nicht dabei. Als auch diese Aufnahmen bei mir eingetroffen waren und ich mir endlich sämtliche aus Österreich zugesandten Werke von Joseph Marx in Ruhe anhören konnte, war ich vom ungewöhnlichen Wohlklang und der eindringlichen Klarheit der Musik dieses Komponisten regelrecht überwältigt. Automatisch drängten sich Fragen in mir auf:

Wie konnte es sein, daß solch eine großartige Musik absolut unbekannt und völlig in Vergessenheit geraten war? Wie konnte es dazu kommen, daß ein Komponist, dessen Werke zweifellos zu den reizvollsten Vertretern der Musik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehören, bis in die Gegenwart dermaßen vernachlässigt und als bloßer Liederkomponist abgestempelt wird? Und vor allem: Wie war es möglich, daß ausgerechnet die Herbstsymphonie, die laut aller mir später vorliegenden Quellen seine größte und wichtigste Schöpfung überhaupt war, auch heute noch das am wenigsten bekannte seiner Orchesterwerke ist?

Joseph Marx (38 kB)
Joseph Marx in seiner Wiener Wohnung, Traungasse 6 (1963).
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Antworten auf diese Fragen erhoffte ich mir von der Lektüre der längst vergriffenen Biographien sowie zahlreicher Aufsätze und Artikel über Joseph Marx, die ich mir in der Zwischenzeit aus Österreich hatte kommen lassen. Beim ersten Buch über Marx, das ich bekam, handelte es sich um eine von Dr. Andreas Holzer für seine Promotion an der Karl-Franzens-Universität in Graz verfaßte Doktorarbeit über Joseph Marx. Diese Dissertation ist die umfangreichste, über Joseph Marx entstandene Arbeit eines Autors, der Marx nicht persönlich gekannt hat. Daneben spielt noch die im Jahre 1943 entstandene Biographie von Marx' Schüler Andreas Liess, die das Leben und Werk des Komponisten teilweise aus nächster Nähe beleuchtet, eine tragende Rolle, wobei ich mir diese Biographie in erster Linie deshalb zugelegt habe, weil es eine sich über mehrere volle Seiten erstreckende, ausführliche Beschreibung der Herbstsymphonie sowie aller anderen, bis 1943 entstandenen Werke und viele weitere Details wie z.B. Aufführungsdaten aus den Zwanziger Jahren enthält. Die Bücher und Schriften über Joseph Marx, die ich für diese Internetseite verwendet habe, sind im Kapitel „Bibliographie" aufgeführt. Im Kapitel „Ausführliche Beschreibungen von Herbstchor an Pan und Herbstsymphonie" findet der Leser übrigens die erwähnte Analyse der Herbstsymphonie.

Dr. Holzers Doktorarbeit und die Biographie von Andreas Liess brachten tatsächlich ein wenig Licht in die Frage, warum die Herbstsymphonie und die anderen großen Werke des Komponisten aus dem Konzertrepertoire verschwunden waren.

Die Uraufführung der Herbstsymphonie fand im Rahmen der „Philharmonischen Konzerte" am 5. Februar 1922 durch die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Felix von Weingartner statt. Schon die Generalprobe war durch eine Gruppe von Saboteuren gestört worden, die Pfeifen mitgebracht hatten und diese auch ausgiebig benutzten, um damit einen erfolgreichen Ablauf der Aufführung zu verhindern. Ähnliches geschah dann auch bei der darauffolgenden Premiere des Werkes. Dadurch bildete sich innerhalb des Publikums ein regelrechter Machtkampf zwischen den Störenfrieden und den von der betörenden Klangfülle der Musik überwältigten Zuhörerschaft, bei dem es laut Augenzeugenberichten sogar zu Handgreiflichkeiten kam. Diese Tumulte dauerten rund eine Viertelstunde. Auch Joseph Marx war überrascht und wußte nicht, wer denn nun hinter diesem Sabotageakt steckte, wie er kurz nach der Uraufführung in einem optimistischen und zugleich ironischen Privatbrief zum Ausdruck brachte.

Die anschließend in der Tagespresse und in Fachzeitschriften erschienenen Artikel beschrieben die Herbstsymphonie dann auch als ein in vielerlei Hinsicht bahnbrechendes Werk, welches das Publikum zwangsläufig in verschiedene Parteien spalten mußte:

„Eine meisterlich thematische und polyphone Arbeit ... bisweilen mit Schreker'scher Technik gezeichnet." („Musikblätter des Anbruchs", 1923/5, S. 156)

„Ein Werk von übergroßer Länge ... mit überhitzten Klanghäufungen, ja einem gewissen Überschwang, das ... trotz aller Exzesse der Klangmischung und der Stimmenhäufung, trotz zeitweiligen Überwucherns der Episoden einen notwendigen Schritt nach vorwärts darstellt ... Meisterhafte Beherrschung der Technik ...". („Wiener Morgenzeitung", 07.02.1922)

„Eine unsymphonische Symphonie ... Zu monströs aufgebaute Ergebnisse eines Lyrikers, der gewiß ganz in seiner Musik aufgeht ..." („Wiener Zeitung", 5. Juni 1923)

Mit der großen Aufmerksamkeit, die das Werk in Wien erregt hatte, galt Joseph Marx nun als eine Art Revolutionär. Allerdings gibt es klare Anzeichen dafür, daß Felix von Weingartner offenbar „nicht der richtige" für dieses Werk gewesen sein dürfte, denn die Premiere der Herbstsymphonie in Graz (26. September 1922) und auch die darauffolgenden Grazer Aufführungen unter der Leitung des als „Klangspezialist" bekannten Clemens Krauss verursachten einhellige Begeisterungsstürme bei Publikum und bei der Kritik, so daß die Herbstsymphonie zu einem der am meisten gefeierten Orchesterwerke der Grazer Konzertgeschichte wurde. Hier ist anzumerken, daß dies nicht in erster Linie damit zusammenhängt, daß Graz die Geburts- und Heimatstadt von Joseph Marx war, da sämtliche späteren Aufführungen in Wien - dann nur noch unter der Leitung von Clemens Krauss - ein voller Erfolg waren und die skandalöse Uraufführung von Februar 1922 praktisch vergessen war, was allerdings auch der Rolle von Marx als Revolutionär ein Ende setzte.

Programm (13 kB)

Im Jahre 1927 wurde die Herbstsymphonie schon nicht mehr in voller Länge aufgeführt. Marx hatte zwischenzeitlich den vierten und letzten Satz der Symphonie („Ein Herbstpoem", ursprünglicher Titel: „Ernte und Einkehr") - der einzige Satz, in den der vorherige Satz nicht ohne Unterbrechung übergeht - sozusagen „ausgekoppelt" und ohne Veränderungen als eigenständiges Werk herausgegeben. Weitere Einzelheiten darüber, z.B. wie aus dem „Herbstpoem" später durch leichte Überarbeitung das Werk „Feste im Herbst" (Alternativtitel: „Herbstfeier") entstanden ist, findet der Leser im Kapitel „Verzeichnis aller Orchester-, Chor-, Kammer-, Klavier-, Orgel- u. Vokalwerke" unter der Überschrift „Letzte Meldungen zur Herbstsymphonie".



Announcement (12 kB)

Doch warum wurden nach den Zwanziger Jahren auch noch die anderen Orchesterwerke des Komponisten vernachlässigt und nahezu vergessen?

Nun, die österreichische Musikszene der Zwanziger Jahre läßt sich ganz grob in zwei Gruppen einteilen: die tonalen und die atonalen Musiker mit ihrer jeweiligen Anhängerschaft, also die „Moderne" (die Avantgarde) und die „Konservativen". Marx war einer der führenden Vertreter der tonalen Fraktion, wenn nicht sogar die schillernde Hauptfigur der tonalen Musik im damaligen Wien. Hierzu eine kurze Exkursion zum Thema

Tonalität bei Marx: Seine Philosophie unterliegt strengen ästhetischen und dennoch nicht mit dem Verstand umsetzbaren Prinzipien: Einerseits mußte sich für ihn die hohe Kunst der Musik stets innerhalb der Grenzen der Tonalität abspielen; zum anderen war da seine spirituelle Bindung zur Natur, die ihn inspirierte und Musik direkt „in seinem Herzen" entstehen ließ. Sein Ziel war hierbei, einen größtmöglichen Wohlklang zu erzielen und dadurch dem musikalischen Gesetz der Natur, wonach zur Schaffung einer vollendeten Melodie sämtliche Mittel der Tonalität bis ins letzte auszuschöpfen seien, gerecht zu werden.

Als angesehene Persönlichkeit und Leitfigur der tonalen Musik bekleidete Marx auch schon im Wien der Zwanziger Jahre einige wichtige Positionen des österreichischen Musiklebens. Naturgemäß war die Gegnerschaft im Zeitraum 1919 bis 1932, in dem Marx fast all seine Orchesterwerke schrieb, insbesondere aus den Reihen der Atonalen stark ausgeprägt und beinahe allgegenwärtig. Der dem Komponisten ureigene, hochmelodische Stil paßte den Modernen so gar nicht ins Konzept, und unter dem Einfluß verschiedener anderer Faktoren wie z.B. des auch beim Publikum bereits etablierten Interesses an der neuartigen Musik konnten sich Marx' Werke in den damaligen Konzertprogrammen letztendlich nicht mehr durchsetzen.

Zur krassen Verdeutlichung dessen, auf welche Weise manche Kritiker dem Kompositionsstil von Joseph Marx und somit auch dem letzten Aufleuchten romantischer und impressionistischer Tonkunst in seiner ausgeprägtesten Form gegenüberstanden, seien hier die Originalwortlaute zweier Kritiken von T. Adorno aus den Jahren 1926/27 wiedergegeben (aus den „Frankfurter Opern- und Konzertkritiken", anläßlich der jeweiligen Uraufführung von Marxens Orchesterwerken „Symphonische Nachtmusik" und „Idylle" in Darmstadt bzw. Frankfurt):

„In der `Symphonischen Nachtmusik' von Joseph Marx, die Krauss im Museum zur Uraufführung brachte, bleibt einem nichts erspart. Es herrscht da ein Großbetrieb mit Brunnen, Mondgeflimmer und Inbrünsten jeglicher Art, dessen stramme Stimmungsorganisation kein Plätzchen zum Atmen freigibt, und wär' es noch so klein. Die Stille der Nacht strömt erotissimo, die Nachtigallen dürften vierfach besetzt sein, Klavier, Harfe, Celesta produzieren Impressionismus, weil er doch einmal modern war; die hohen Geigen indes behüten mit ihrem Vibrato die original romantische Flamme. Harmonisch weiß man wohl mit Schreker Bescheid, bleibt aber bei aller Erotik doch ehrbar, wie es sich gehört. Muß es sein? Es muß sein. Man soll nicht sagen, die Konzertmusik habe alles soziologische Interesse verloren..."

„Clemens Krauss überraschte im letzten Museumskonzert mit der wenig bekannten konzertanten Symphonie mit dem Hornsignal von Haydn; Lubka Kolessa spielte Konzerte von Haydn und Weber; manuell sehr fähig, gestaltend nicht exzeptionell. Die Uraufführung einer `Idylle' von Joseph Marx war so überflüssig wie die vorjährige der `Symphonischen Nachtmusik'."

Joseph Marx - 1911 (17 kB)

Solche Kritiken, bei denen es sich ja nicht um einen Einzelfall handelte, konnten auf Dauer ihre Wirkung auf die musikalische Reputation tonaler Künstler wie Marx natürlich nicht verfehlen, doch „Gefahr" drohte auch von anderer Seite: Gegenüber den ewigen Publikumsmagneten Mozart, Haydn, Beethoven, Brahms usw. zog Marx - so wie unzählige andere Komponisten auch - letztendlich ebenfalls den Kürzeren, obwohl er sich von Anfang an dazu bekannt hatte, das künstlerische Erbe dieser Meister angetreten zu haben. So verwundert es nicht, daß Marx ab Mitte der Dreißiger Jahre seine drei Streichquartette komponierte (u.a. „Quartetto in modo antico" und „Quartetto in modo classico"), deren aussagekräftige Titel eigentlich schon genug über seine damalige Haltung aussagen. Dennoch kehrte Marx im Laufe der Vierziger Jahre - und zwar sehr gern, wie er in Interviews erwähnte - wieder zu seinen Wurzeln zurück, die von einem farbschillernden, überschäumenden Impressionismus zeugen und an die viel später entstandene „Hollywood-Filmmusik" erinnern, zu der er - abgesehen von seiner langjährigen Freundschaft zum späteren Hollywood-Komponisten Erich Wolfgang Korngold - keinerlei Verbindung hatte. In diesem Zusammenhang wird dem Besucher dieser Internetseite empfohlen, sich auch einmal die Original-Interviews und natürlich unbedingt die Musikausschnitte im Kapitel „Hörbeispiele..." anzuhören.

Auf meiner weiteren Suche nach einer Aufnahme der Herbstsymphonie stieß ich auf eine Internetseite der Österreichischen Nationalbibliothek mit einer enorm langen Liste aller Briefeschreiber an Joseph Marx, darunter zahlreiche berühmte Namen wie Dohnanyi, Furtwängler, Gieseking oder Godowsky. Aufgrund dieser Liste sah ich mich dazu veranlaßt, letzten Endes rund 50 weitere Anrufe zu tätigen, so auch beim Archiv der Deutschen Grammophon (ebenfalls Briefeschreiberin an Marx) und bei anderen Schallplattenfirmen, den wichtigsten deutschen Musikarchiven sowie bei einigen deutschen Fachleuten für Lexikographie und Diskographie. Keiner meiner Ansprechpartner konnte mir weiterhelfen. Doch dann schien ich gefunden zu haben, wonach ich suchte: Ein Dokument der ÖNB, das eine Zusammenfassung sämtlicher Briefe des Schweizer Komponisten Richard Flury, einem Schüler und langjährigen Freund von Marx, enthielt.

Joseph Marx - Richard Flury (25 kB)
Joseph Marx - Richard Flury

In einem dieser Briefe berichtete Flury von der positiven Rezeption der Herbstsymphonie im schweizerischen Städtchen Solothurn. War dies ein Hinweis oder gar ein Beweis für die Existenz einer Aufnahme in der Schweiz? Wenn ja, wäre es dann nicht möglich, daß die Symphonie auch noch in späteren Jahrzehnten in der Schweiz aufgeführt und evt. aufgezeichnet wurde?

Ich kontaktierte sämtliche in Frage kommenden Radiosender der Schweiz, die Schweizerische Nationalbibliothek und die Nationalphonotek der Schweiz. Ich erfuhr, daß Richard Flury einen Sohn hatte, der heute selbst ein in der Schweiz angesehener Komponist, Dirigent und Violinist ist. Also rief ich Urs Joseph Flury an, der schon vor vielen Jahren vergeblich nach einer Aufnahme der Herbstsymphonie gesucht hatte und aufgrund seiner persönlichen Bekanntschaft mit Marx einige sehr interessante Dinge zu erzählen wußte. Urs Joseph Flury war außerdem im Besitz des über einen Zeitraum von fünf Jahrzehnten geführten gesamten Briefverkehrs zwischen seinem Vater und Joseph Marx. Er war sich unterdessen absolut sicher, daß es sich bei der betreffenden Passage des besagten Briefes um einen Fehler handeln müsse. Nachdem er den Originalbrief gefunden hatte, konnten wir nachlesen, daß er recht hatte: Richard Flury hatte eine seiner eigenen Symphonien gemeint, nicht die Herbstsymphonie. Urs Joseph Flury sagte, daß, wenn die Herbstsymphonie jemals in der Schweiz aufgeführt worden wäre und es eine Aufnahme davon gäbe, er definitiv davon erfahren hätte. Er erwähnte allerdings, daß Anna Hansa kurz nach dem Tod von Marx 1964 eine Wiederaufführung der kompletten Herbstsymphonie habe anstrengen wollen. Leider gingen meine diesbezüglichen Recherchen schließlich auch ins Leere.

Ein anderer wichtiger Hinweis war eine Information in der 1943 entstandenen Biographie von Andreas Liess, wonach die Herbstsymphonie im Februar 1925 vom Wuppertaler Sinfonieorchester unter der Leitung des Österreichers Hermann von Schmeidel in Wuppertal-Elberfeld.

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Um sich ein Foto einer Aufnahmesession von Marx-Werken in der oben genannten Stadthalle Wuppertal anzeigen zu lassen, bei der es sich um genau den Ort handelt, an dem die Herbstsymphonie 1925 zum letzten Mal aufgeführt worden ist, bitte hier klicken!

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Nach einigen Anfragen beim Wuppertaler Sinfonieorchester sprach ich schließlich mit Prof. Joachim Dorfmüller, einem bekannten Organisten und Pianisten, der u.a. ein Buch über die Wuppertaler Konzertgeschichte geschrieben hat. Doch wie ich befürchtet hatte, gab es aus der damaligen Zeit natürlich keine Aufnahme, und hier bestätigten sich einmal mehr die Ergebnisse der zuvor von mir kontaktierten Lexikographie- und Diskographie-Experten, die in ihren Unterlagen und Büchern keinerlei Aufzeichnungen über in Deutschland entstandene Schallplattenaufnahmen von Marx' Orchesterwerken hatten finden können.

Dann, nach weit über 200 Telefonaten und der Lektüre aller verfügbaren Schriften über Joseph Marx, glaubte ich endgültig zu wissen, daß ich keine Aufnahme der Herbstsymphonie finden würde. Dennoch war ja meine Recherche schon jetzt ein voller Erfolg gewesen, denn ich hatte immerhin eine Vielzahl von bis dato völlig vergessenen und unbekannten Informationen und Zusammenhängen über Leben und Werk des Komponisten ans Tageslicht gebracht und hatte nun auch die Möglichkeit, all dieses Wissen zum Teil auf dieser Internetseite zusammentragen, insbesondere über die Herbstsymphonie, deren trauriges Schicksal in keiner bisherigen Informationsquelle behandelt worden ist.

Die Herbstsymphonie ist tatsächlich Marx' bemerkenswerteste und mit Abstand größte Komposition, und sie enthält einen wesentlichen Teil des von Marx in seinen zahlreichen Liedern verwendeten Themenmaterials. Sie wurde seit den Zwanziger Jahren nie wieder in voller Länge aufgeführt. Somit gibt es keine Referenz- und Vergleichsmöglichkeit durch Zuhilfenahme vorhandener Aufnahmen. Eine exzellente Aufführung dieses klanglich komplexen Werkes bedarf meines Erachtens einer ausgiebigen Probephase (einem Gerücht zufolge haben die Wiener Symphoniker das riesige Werk vor der Uraufführung nur vier Mal geprobt und sind dadurch mitverantwortlich für das Mißlingen der Aufführung) und es braucht vor allem ein Orchester und einen Dirigenten, die eine ausgesprochene Vorliebe für solche Großwerke der Spätromantik haben. Das eingehende Studium der Partitur und die Auswertung der Meldungen über die tatsächlich zu technisch geratene Uraufführung aus dem Jahre 1922 zeigen zudem, daß das Werk vom Orchester mit einem hohen Maß an Einheit und Hingabe vorzutragen ist, da sonst der von einem Beobachter der Uraufführung beschriebene Effekt auftreten könnte, daß da „ein erstrangiges Riesenorchester wie eine Fabrik arbeitet...".

„Ein Musiker mit den malerischen Fähigkeiten eines Marx konnte nicht auf den Gedanken kommen, den steirischen Herbst in seiner Überfülle in der Besetzung eines Kammerorchesters zu schildern. Aber welch bezaubernd suggestiven Naturvorstellungen läßt dieses Orchester entstehen! Ob das nun eine Symphonie oder eine großartige Rhapsodie ist, bleibe dahingestellt..."
(Hans von Dettelbach)

„Orgiastisch lebt Marx sich hier aus im Taumel der Themen und Motive, der Gegenführungen und polyphonen Wendungen, des Über- und Untereinander, der Fülle und der Vielfalt. Die südliche Sonne scheint auf dieses Werk, und das Volk der Instrumente jauchzt und schreit und murmelt und - brennt."
(Erik Werba)

Herbstsymphonie (34 kB)

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CD: Eine Herbstsymphonie     CD: Orchesterwerke Vol. 1 (Naxos-Wiederveröffentlichung)     CD: Orchesterwerke Vol. 2 (Naxos-Wiederveröffentlichung)






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Marx
im ORF
Hier sehen Sie die einzig existierenden Filmaufnahmen von Joseph Marx


EIN NEUJAHRSHYMNUS & BERGHYMNE
von Joseph Marx


Orchestriert von
St. Esser & B. Haydin


* * * verlegt bei der Universal Edition * * *

Hier weitere Infos und Hörbeispiele (MP3)



24. und 25. Oktober 2005

Das Grazer Orchester recreation - Großes Orchester Graz
spielte unter der Leitung von Michel Swierczewski die


HERBSTSYMPHONIE

(Stefaniensaal in Graz, Österreich)

* * *   Erste Aufführung seit fast 80 Jahren   * * *

Der Autor dieser Website hat diesem seltenen, bedeutenden
Ereignis beigewohnt und berichtet hier ausführlich über die
großartige Rezeption in der österreichischen Presse


Die Joseph-Marx-Gesellschaft hat eine eigene Internetseite:


joseph-marx-gesellschaft.org


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die im Dienste der Information über Joseph Marx und der Freude an seiner Musik steht.


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